In meiner Familie gab es in meiner Kindheit
eine Tradition: Immer nach dem Essen, wenn wir fertig waren und unsere Teller
abräumten, sagten wir „Danke“. Ich könnte gar nicht mehr sagen, an wen dieser
Dank gerichtet war: An meine Mutter oder Oma, die das Essen gekocht haben, an
Gott, an das Universum, an uns als Familie, keine Ahnung. Es ist letztendlich
auch egal, denn ausschlaggebend ist nur das angenehmen Gefühl, das die
Dankbarkeit erzeugt und die Energie und Kraft, die die Freude über etwas
vielleicht ganz Alltägliches noch verstärkt. Aber es hat mich nachhaltig
geprägt. Ich habe früh gelernt, dankbar zu sein und zu sehen, dass nicht alles
im Leben selbstverständlich ist.
Diese Wertschätzung für die tägliche
Versorgung mit Nahrung hat mich mein Leben lang begleitet. Im Geiste bedanke
ich mich heute noch für jede Mahlzeit.
Der Grundstein dafür, ob man dankbar ist, wem
oder wofür, wird zumeist in der Kindheit gelegt, indem die Eltern oder anderen
Erziehungspersonen es dem Kind beibringen.
Es gibt aber Menschen, die genau das – Dankbarkeit
und dankbar sein müssen – in ihrer Kindheit unangenehm erlebt haben. Zu einem
Bitte und Danke gedrängt und genötigt zu werden, hat bei ihnen Spuren
hinterlassen und Widerstand dagegen entfacht. Das ist sehr schade, weil mit dem
Ablehnen von Dankbarkeitsbezeugungen eine
Möglichkeit verloren geht, Freude, Zufriedenheit und Fülle zu generieren und zu
erleben.
Dankbarkeit ist keine Gegenleistung für eine
erbrachte Leistung und sie ist auch kein Zu-Kreuze-kriechen! Vielmehr kann man
mit Dank seine Freude und Wertschätzung zum Ausdruck bringen, über etwas, das
gut und besonders ist.
Unsere entwicklungsgeschichtlich
vorinstallierten Wahrnehmungsfilter rücken die negativen und schrecklichen
Ereignisse in den Vordergrund: Wir sprechen viel rascher und intensiver auf
Horrormeldungen von Katastrophen, Bedrohungen , Mord und Totschlag an. Das
hatte irgendwann einmal seine Berechtigung, hieß es doch, in Gefahrensituationen
rasch Vorkehrungen treffen zu können, um das Überleben zu sichern. Es war
wichtig, Bedrohungen rasch zu erkennen. Heute hat das in dieser Form nicht mehr
Priorität, weil wir vor Fress- und anderen Feinden relativ sicher sind. Der
Filter ist dennoch geblieben: Das Negative, Schreckliche wird rascher und
intensiver wahrgenommen als die positiven Begebenheiten, was dazu führt, dass
in der subjektiven Empfindung das Schlechte und das Grauen auf der Welt
überwiegen. Tageszeitungen und Nachrichtensender wissen sich diese Tatsache zu
Nutze zu machen. Angst als Steuerungsinstrument wird auch in der Politik häufig
benutzt.
Was hat das aber mit Dankbarkeit zu tun? Sie
ist das Gegenmittel! Dankbarkeit bietet die Möglichkeit, dem entgegen zu
wirken: Dankbarkeit ist DER Filter, der Negatives und Beängstigendes
neutralisieren kann. Sie verhilft, Positives und Wertvolles im Leben zu
erkennen und wertzuschätzen. Die Wahrnehmung wird erweitert, nicht nur
Schreckensmeldungen sondern auch viel Gutes und Kostbares dringt zu uns durch. Mit
etwas Übung und Geschick können diese positiven Wahrnehmungen stärker und intensiver
als all der Schrecken werden, mit dem wir medial bombardiert werden. Dankbarkeit
hilft, den Blick in die richtige Richtung zu lenken und sorgt so für einen
gesunden Geist. Es ist auch kein Nachteil, sich von reißerischen Medien
fernzuhalten, wenn man bemerkt, dass sie einem nicht gut tun.
Dankbar sein können bedeutet, dass es etwas
gibt, wofür es sich dankbar zu sein lohnt. Zu erkennen und zu schätzen, was man
alles an Gutem im Leben hat, macht langfristig zufrieden. Auch wenn es zu
Beginn schwierig sein mag, all das Positive im eigenen Leben zu sehen, mit ein bisschen
Übung und etwas Geduld zeigen sich bald Erfolge. Dankbarkeit macht all das wertvoll,
was wir haben. Wenn wir uns einmal die Zeit nehmen, über all das nachzudenken,
wofür wir dankbar sein können, werden wir merken, wie reich wir sind und dass
wir in der Fülle leben. Wenn man es sich zur Gewohnheit macht, täglich oder
regelmäßig darüber nachzudenken, wofür man gerade dankbar ist, wird sich die
Einstellung und Sichtweise auf die Dinge
verändern. Man setzt die Brille der Fülle auf und legt die des Mangels ab.
Am Abend, wenn man schon im Bett liegt und
noch dem einen oder anderen Gedanken nachhängt, hat es sich bewährt, noch
einmal kurz über den Tag nachzudenken. Nachdenken mit einer ganz bestimmten Ausrichtung:
„Was ist mir heute Gutes passiert und wofür kann ich dankbar sein?“ Und
meistens, auch wenn der Tag noch so verkackt war, findet sich eine Kleinigkeit,
die das Herz berührt: Ein Auto ist am Fußgeher Übergang stehen geblieben und
die Fahrerin hat heraus gelächelt, du hast im Supermarkt die letzte Ananas ergattert,
dein Paket ist 2 Tage vor dem bekanntgegebenen Termin eingelangt, Es hat zu
schütten begonnen, aber du hast es gerade noch in den Bus geschafft, dein
Freund hat dir einfach so deine Lieblingsschoko mitgebracht.
Ich habe im frühen Erwachsenenalter eine große
Lebenskrise gehabt und mir Unterstützung gesucht. Meine Psychotherapeutin hat
mir damals (unter anderem) den Rat gegeben, vor dem Einschlafen noch kurz den
Tag Revue passieren zu lassen und mir die schönen Dinge in ein imaginäres „Körbchen“ zu legen. Am Anfang habe ich
natürlich kaum etwas gefunden, aber von Woche zu Woche fiel es mir leichter und
ich fand am Abend immer ein wenig Trost, Freude und Dankbarkeit. Diese Methode
hat mir bereits damals so sehr geholfen und ich habe sie nie aufgegeben.
Dankbarkeit hilft, mit unproduktiven und
unangenehmen Gefühlen umzugehen. Selbst Tätigkeiten, die einen nerven oder
einfach nur anstrengend sind, geben gutes „Rohmaterial“ für Dankbarkeit ab. Wenn
man sich beim Einkaufen abschleppt und plagt, kann man sich freuen, dass man genug
Geld hat, so viel einzukaufen. Wenn man sich über die Lohnabzüge an Steuern und
Versicherung ärgert, ist das ein Zeichen dafür, dass man einen Job hat und Geld
verdient (je mehr Abzüge desto mehr Bruttogehalt), wenn man sich über die
Dauer-Parkgebühren am Flughafen ärgert, ist der Grund dafür meistens ein
Urlaub, den man sich leisten kann, bei Zugausfall oder Verspätung kann man sich
darüber freuen, dass es überhaupt ein gut ausgebautes Schienennetz gibt, wenn
man sich überfressen hat und der Bauch weh tut, ist das ein Beweis, dass man
nicht hungern muss.
Wenn wir jammern oder uns aufregen so tun wir
das sehr oft auf sehr hohem Niveau. Das kann man sich hin und wieder vor Augen
halten, um wieder ein bisschen Zufriedenheit ins Leben zu bringen.
Wenn ich einen Stau gerate, denke ich mir,
dass ich dankbar sein kann, nicht die Ursache für den Stau zu sein: In einen
Unfall verwickelt sein, eine Panne haben usw. Vor vielen Jahren hatte eine Freundin mit ihrem Mann und ihrer Mutter
einen Autounfall. Alle wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Einige Tage später
war ich auf einer Tagung in Salzburg Stadt. Am Heimweg setzte Schneefall ein
und es begann knapp nach der Auffahrt auf die Autobahn der Verkehr zu stocken.
Ich und die anderen Verkehrsteilnehmer steckten für die nächsten 5 Stunden auf
der Autobahn fest. Ich dachte in diesem
Moment an meine Freundin und war einfach nur sehr dankbar dafür, dass ich nicht
ganz vorne in einem Unfall war, den ich als Ursache für den Stau vermutete.
Ein menschliches Leben ist unglaublich kostbar
und besonders: Menschen haben einen freien Willen, können Entscheidungen
treffen und bewusst auf ihr Leben einwirken und es gestalten. Tiere hingegen
sind Instinkt- und triebgesteuert, sie können nicht planen oder aufgrund
komplizierter Überlegungen bestimmte Entscheidungen treffen.
Wenn ich in Wien bin und über den
Stephansplatz gehe, dann bedaure ich immer die armen Fiakerpferde, wie sie da
tagein tagaus stehen und bei jedem Wetter arbeiten müssen. Es gibt so viel Leid
im Tierreich, unvorstellbares Leid. Als Mensch geht es mir da viel besser und
besonders als Mensch, der in einem reichen und zivilisierten Land lebt.
Was noch außer dem kostbaren menschlichen
Leben bietet sich an, dankbar zu sein? Hier ein paar Anregungen:
- Österreich ist ein friedliches Land ohne Krieg und Militärgewalt. Man kann jederzeit seine Wohnung oder das Haus verlassen und sich
sicher bewegen. In der Nacht muss man nicht fürchten, ausgebombt zu werden, es
gibt Nahrung nicht nur im ausreichenden Maß sondern sogar im Überfluss.
Partner, Brüder und Väter müssen nicht einrücken und niemand muss um ihr Leben
fürchten.
- Wir leben in einem Land der Fülle. Wir leben
in einer klimatisch begünstigten Zone, Getreide, Früchte und Gemüse wachsen
üppig und alles wonach uns sonst noch der Sinn steht, wird importiert. Wenn wir
wollen, können wir 365 Tage im Jahr Erdbeeren, Tomaten oder Mangos essen. Unser
Problem ist weniger, wie wir satt werden sondern wie wir es schaffen, nicht zu
dick zu werden.
- Wir wurden ohne irgendetwas am Leib geboren und wir bekamen sofort ein
Zuhause, Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Vielleicht
leben wir mittlerweile nicht mehr am Ort unserer Kindheit und haben eine eigene
Wohnung oder ein eigenen Haus. Aber auch dies haben wir nicht selbst gebaut,
die Ziegel nicht selbst aus Lehm gestochen und gebrannt und dann Stein um Stein
mit Mörtel befestigt. Selbst wenn wir
bescheiden leben, so haben wir jedenfalls ein Badezimmer und eine Toilette,
eine Heizung und einen Herd zum Kochen. Wenn wir in die Arbeit gehen, schließen
wir unser Heim ab und wir können mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass wir es nach getaner Arbeit wieder
unversehrt vorfinden werden. Das ist nicht selbstverständlich!
- Welche Meinung man auch immer wir vertreten mag, man darf sie kundtun, solange man respektvoll und
gewaltfrei bleibt. Man darf für oder gegen Abtreibung sein, für oder gegen
Fleischkonsum und Massentierhaltung, man darf politische Parteien gründen,
Initiativen starten und sich Meinungen anschließen, die unseren Idealen
entsprechen.
- Es ist gestattet, dem eigenen Glauben oder einer Religion zu folgen,
wie immer dieser aussehen mag. Alle Weltreligionen stehen offen und selbst wenn
es einen zu Sekten verschlägt, ist dies erlaubt. Vielleicht wird man sogar
liebevoll darauf hingewiesen, dass dies gefährlich sein und Schaden zufügen kann,
aber es steht einem frei. Man darf beten, wo immer man beten will, und wer
nicht beten will, darf dies auch kundtun. Agnostiker und Atheisten finden ihren
Platz in der Gesellschaft.
- Der Großteil der arbeitsfähigen
Menschen findet Arbeit. Und wenn sie
keine finden, so gibt es Unterstützung durch ein Versicherungssystem, das auf
Solidarität aufbaut. In den Arbeitsstätten findet man Bedingungen vor, die der
Gesundheit keinen Schaden zufügen. Es gibt viele Gesetze, die ein sicheres und gesundes Arbeiten
ermöglichen und vor der Willkür der Arbeitgeber schützen. Bevor man ins
Berufsleben eintritt, steht ein vielfältiges System an Pflichtschulen und
Ausbildungsstätten, Universitäten und mehr zur Verfügung.
- Aber vor allem haben wir eines:
Wir sind geistig fit – sonst könnten wir diese Zeilen nicht lesen – und körperlich entweder gesund
oder wenn krank dann in ärztlicher Behandlung. Auch hier fängt uns ein Versicherungssystem aufbauend auf Solidarität auf, und wir
können medizinische Hilfe in Form von Ärztinnen, Medikamenten,
Krankenhausaufenthalten oder Rehabilitationsaufenthalten in Anspruch nehmen.
Zurücklehnen, Augen schließen und spüren: Was
macht mein Leben so besonders?
Was gibt es Wertvolles, über das ich mich
tagtäglich freue?
Wer unterstützt mich? Ist es die Katze, die um
die Beine streicht und ein warmes Gefühl auslöst oder die Kinder, die am
Wochenende immer ins Bett zum Kuscheln kommen? Ist es die tolle Chefin, die so
viel Freiraum lässt oder die Freude, dass der Hauskredit endlich abbezahlt ist?
Die Erleichterung, dass die Brustbiopsie der Schwester nicht auf Krebs
schließen lässt oder dass das Gemüse im Garten dieses Jahr so toll gedeiht? Ist
es die Sponsion der Ältesten oder der herrliche Urlaub am Meer? Oder ist es
einfach nur der Frieden im Geist und im Herzen, die Ruhe im Garten oder der
sanfte Regen, der alles zum Wachsen bringt?
Dankbarkeit schadet nicht und mehr noch:
Dankbar sein hat langfristig positive Auswirkungen auf Körper und Geist und
sorgt für Zufriedenheit und Glück.
Es ist mehr als nur eine höfliche Floskel, wenn
man im Café dem Kellner „Danke“ sagt, wenn er den Cappuccino bringt! Mit
Dankbarkeit beschenkt man sich einerseits selbst, weil man sich bewusst macht,
dass es etwas gibt, fürs das es sich lohnt, dankbar zu sein. Andererseits zeigt
man seine Wertschätzung einem anderen gegenüber. Danke ist eines der magischen
Worte (neben Bitte, dem Grüßen oder Verzeihung), die rasch Verbindung, Freundlichkeit
und Wärme in die Welt bringen können. Dankbarkeit bereichert das eigene Leben
und auch das der anderen.
Dankbarkeit vertieft das Verständnis der Welt,
sie macht es leichter, wertschätzend und freundlich zu sein und ebnet uns damit
den Weg zum Glück. Sie ist die rosa Brille, mit der man die Welt verändert
betrachten und sie letztendlich auch verändern kann.
Dankbarkeit ist mehr als Worte und Taten.
Dankbarkeit ist eine Lebenseinstellung. Sie verändert einen und erhellt das
Denken und Fühlen auf wunderbare Art.