Selbstfürsorge dauerhaft und wirksam installieren

Über Jahrzehnte war das meine Taktik: Den ganzen Tag arbeiten, keine oder zu wenig Pausen machen, daheim weiter arbeiten: Kochen, Wäsche, Rasen mähen, Vorhänge nähen usw., daneben Kaffee trinken und im Stehen rasch etwas essen. Zwanghaft meine To do Liste abarbeiten, denn erst dann hätte ich mir das sprichwörtliche Vergnügen nach der getanen Arbeit verdient. Bloß mit der Einschränkung, dass es dann meist kein Vergnügen mehr war, weil ich mich davor völlig verausgabt hatte. Ich hatte die Anzeichen nicht gespürt und meine Grenzen Stück für Stück überschritten. Der Crash war vorprogrammiert –  regelmäßig!

Wer seine eigenen Bedürfnisse und Grenzen ignoriert, wird früher oder später zusammenbrechen. Jeder weiß das. Man soll sich liebevoll um sich selbst kümmern, das ist allgemein bekannt. Aber kaum jemand macht das. Was kann man also tun, um dieses Wissen zu integrieren und um dafür zu sorgen, dass man körperlich und geistig leistungsfähig wird und bleibt?

Achtsam und geschickt mit der eigenen Energie und den Ressourcen umzugehen, ist die Antwort darauf.  Körperliche Bedürfnisse abdecken wie regelmäßig drei gesunde Mahlzeiten in entspannter Atmosphäre einnehmen, ausreichend trinken und zwar am Besten Wasser oder ungesüßte Tees, rechtzeitig ins Bett gehen, damit man die benötigten Stunden an Schlaf bekommt,  regelmäßig mit Freunden treffen, ab und zu ins Kino gehen, in ein Konzert oder zum Tanzen, abhängen und quatschen und die Seele baumeln lassen. Die Bücher lesen, die einen schon immer interessiert haben, etwas neues lernen oder einfach einmal  beten oder meditieren.  

Nur wenn der Akku voll ist, kann man aus dem Vollen schöpfen. Hat man erst mal sein ganzes Energiekapital ins Spiel geworfen und verbraucht, dauert es wieder länger, Kraft zu tanken und die Leistungsfähigkeit aufzubauen.

Aber das wissen wir natürlich alle und ich möchte wetten, ich bin nicht die einzige, die die Erfahrung der Selbstausbeutung gemacht hat. Aber warum tappt man trotzdem immer wieder in die Falle und schlittert so in diese unangenehmen Grenzbereiche? Das theoretische Wissen um Selbstfürsorge ist eben kein Garant für Wohlbefinden! Genauso wenig wie man von der bloßen Vorstellung, weniger zu essen, schlank wird, bleibt man fit und leistungsfähig, wenn man bloß daran denkt, wie gut es wäre, sich angemessen um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern.

Ausschlaggebend ist es, dass gut Ideen auch umgesetzt werden: Heute, morgen, dauerhaft.

Hier ein paar Tipps, wie man aus neuem Verhalten eine Gewohnheit machen kann:

  1. Tätigkeiten oft wiederholen, Routine entwickeln:  Will man neues Verhalten ausprobieren oder fix im Alltag einplanen, muss man geschickt vorgehen. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und alles, was wir für eine bestimmte Zeit lang eintrainiert haben, hat seinen fixen Platz im Tagesablauf: Zähne putzen, Geschirrspüler einräumen, Schuhe anziehen – alles rennt mehr oder weniger auf Autopilot. Eine so eingeführte Routine ist für mich meine Yogapraxis: Gleich nach dem Aufstehen ist mein Ziel die Yogamatte. Nicht nachdenken, nicht mit mir darüber diskutieren – nur tun!  Oft genug gemacht ist ein Verhalten oder eine Tätigkeit nicht mehr wegzudenken. Sie ist automatisiert und wird nicht mehr ständig in Frage gestellt.
  • Mit anderen Tätigkeiten koppeln (Zähne putzen, Geschirrspüler einschalten, Freizeitkleidung oder Pyjama anziehen…) Wenn man einen Monat lang täglich nach dem morgendlichen Zähneputzen überlegt, auf welche Weise man den Tag über gut für sich sorgen will, dann wird es leicht zur Routine. Ich habe es mir zum Beispiel zur Gewohnheit gemacht, nach dem morgendlichen Zähneputzen das Waschbecken im Badezimmer zu reinigen. Mittlerweile ist das ein Automatismus. Achtung aber, wenn außergewöhnliche Ereignissen (Krankheit, Urlaub) den Rhythmus durcheinanderbringen. Die Routine kann schnell wieder in Vergessenheit gelangen.
  • Reminder: Post it in Augenhöhe an Stellen anbringen, die man regelmäßig sieht (Badezimmerspiegel, Garderobe, Toilette). Ich habe in der Küche bei den Oberschränken zum Beispiel eine wunderschön gestaltete Liste mit erstrebenswerten Eigenschaften: Mut, Geduld, Respekt, Großzügigkeit, Freude, Mitgefühl, Vergebung. Wann immer ich dort hin blicke, erinnere ich mich an mein Vorhaben, diesen Eigenschaften mehr Raum in meinem Leben einzuräumen. Termine oder Erinnerungen kann man auch am Handy einprogrammieren. Es gibt eine Vielzahl an Apps, die einen bei körperlicher und geistiger Gesundheit unterstützen können (Activity-Tracker, die daran erinnern dass es wieder Zeit für Bewegung ist,  eine Achtsamkeits-App, die regelmäßig läutet und einen ins Hier und Jetzt zurückholen soll) oder auch der klassische Knopf im Taschentuch.
  • Belohnungssystem einführen: Lernerfolge sind nachhaltiger, wenn man am Ende ein Goodie bekommt: Nach getaner Arbeit ein Kaffee, nach Projektabschluss gemeinsam essen gehen und die getane Arbeit feiern, Städtetrip nach einem halben Jahr Arbeit (d.h. ein halbes Jahr vor dem nächsten großen Urlaub), Kinobesuch nach dem Großputz, Waldspaziergang nach vollbrachter Buchhaltung,….
  • Kurz- mittel und langfristig planen und im Kalender oder Bullet Journal eintragen. Erfahrungsgemäß kommt Terminen im Kalender eine größere Bedeutung als, als einem bloßen Gedanken. Etwas niederzuschreiben vermittelt mehr Verbindlichkeit. Mein Mann und ich vereinbaren wöchentliche Dates miteinander. Die stehen dann im Kalender. Sie sind wichtig.

Ich habe mir jetzt also vorgenommen, nach meiner morgendlichen Meditation noch kurz zu überlegen, wie ich an diesem Tag gut für mich sorgen werde: Was ich essen und trinken werde, ein zeitiger Morgenspaziergang, eine Extraportion Schlaf, mit meinem Mann auf einen Kaffee gehen, eine Freundin anrufen, eine Stunde lang Krimi lesen. Je nachdem. Und am Abend vor dem Schlafen gehen überprüfe ich, ob ich mir tatsächlich die Zeit genommen habe und mir das Minimum und das Extra an Selbstfürsorge gegönnt habe, das ich mir am Morgen vorgenommen habe. Mittelfristig trage ich mir im Kalender zum Beispiel alle 3 Monate einen 4 Stündigen Thermentermin ein und langfristig sind das Urlaube und Kurzurlaubswochenenden. Ich werde mich bemühen und theoretisch sollte jetzt nichts mehr schiefgehen.

Regelmäßiges Kümmern und Sorgen für einen selbst füllt mittelfristig die Energiedepots wieder auf und schafft die Kapazität mit den Herausforderungen des Alltag fertig zu werden. Volle Akkus ermöglichen das Kümmern um andere, Liebe und Mitgefühl. Selbstfürsorge lohnt sich.

Selbstfürsorge-was ist das?

Gut, gesund und angemessen für sich zu sorgen, ist lebensnotwendig. Aber die meisten von uns brauchen manchmal einen Anstoß, es auch zu tun.

Der eine geht ohne Frühstück aus dem Haus und nimmt sich nach einem harten Arbeitstag erst abends die Zeit, etwas zu essen. Die andere greift zu 10 Tassen Kaffee, um die Leistungsfähigkeit den ganzen Tag über zu erhalten. Manche Menschen leiden unter chronischem Schlafdefizit. Meine Mutter war so eine Person: Als Wirtin stand sie jeden Tag um 6 Uhr auf und kam nie vor Mitternacht ins Bett. Sie hatte dauerhaft zu wenig Schlaf ohne Aussicht auf Verbesserung. Und wie viele andere hatte sie auch kein Hobby, weil sie einfach keine freie Zeit dafür hatte.

Man kann Menschen als biologische Maschinen verstehen: Sie brauchen, Pflege, Wartung und Fürsorge. Sie müssen vor extremer Kälte und Hitze geschützt werden und ohne Energiezufuhr läuft gar nichts. Rennen sie zu lange, ohne eine Pause zu machen, dann laufen sie heiß und können beginnen, (aus-) zu brennen.

Wollen wir im Beruf, in der Familie oder bei unseren Freizeitaktivitäten Leistung erbringen, ist es notwendig, dass wir körperliche Bedürfnisse stillen: Essen, Trinken, Ruhepausen und regelmäßige Wartungen wie Körperpflege, Bewegung oder Arztbesuche. Aber auch unser Geist und unsere Seele verlangen Pflege im Sinne von Aufmerksamkeit, Empathie und Zuspruch. Fehlt das dauerhaft, rennen wir nicht „rund“ und laufen sogar Gefahr, krank zu werden.

Vereinfacht kann man die menschlichen Bedürfnisse in die drei folgenden Kategorien einteilen:

  1. Körperliche  Grundbedürfnisse
  • Dach über dem Kopf
  • Schutz vor Kälte und Hitze
  • Genug essen
  • Genug trinken
  • Ausreichend schlafen
  • Regelmäßig an der Sonne und der frischen Luft
  • Bewegung
  • Witterungsentsprechende Kleidung
  • Sicherheit und soziale Bedürfnisse
  • Frieden (keine Bomben)
  • Frei von Bedrohung und Verfolgung (Stalker, Gewalttäter)
  • Job
  • Geld
  • Wohnung, die bezahlt werden kann
  • Familie
  • Freunde
  • Kollegen
  • Menschen, die mir wichtig sind und denen ich etwas bedeute
  • Partnerschaft und Sexualität
  • Stellung in der Familie und in der Gesellschaft
  • Respekt und Anerkennung
  •  Selbstverwirklichung und Spiritualität.
  • Wo will ich hin?
  • Was sind meine Visionen, Träume?
  • Was kann ich der Welt geben?
  • Was will ich über das materielle Leben hinaus?
  • Will ich mich geistig weiterentwickeln?
  • Will ich mich spirituell weiterentwickeln?
  • Wie kann ich meine Wünsche umsetzen?
  • Wie meine Ziele erreichen?

Die Idee, dass es eine Hierarchie der Bedürfnisse und Motive gibt, geht auf den Psychologen Abraham Maslow zurück (Maslowsche Bedürfnispyramide). Ohne die Stillung der wichtigsten körperlichen Bedürfnisse kann man sich nicht ausreichend um sozialen Status kümmern. Ausreichend zu essen und zu trinken sind Voraussetzung für das Leben. 

Wenn man weder körperliche noch soziale Bedürfnisse befriedigt hat, ist es schwierig, sich spirituell und geistig zu entwickeln. Bei meinem ersten Kontakt mit dem Buddhismus vor ca 15 Jahren war ich persönlich und sozial nach meiner Scheidung in einer belasteten Phase. Bei all meinen spirituellen Tätigkeiten schwang eine Traurigkeit und Sehnsucht nach tiefer Verbindung mit Menschen mit. Nachdem ich mir dann aber wieder ein soziales Netz aufgebaut hatte, konnte ich mich auch auf die Spiritualität tiefer einlassen.

Ohne Abdeckung der körperlichen Bedürfnisse, kann man sich also nicht ausreichend den sozialen Bedürfnissen widmen, und ebenso bedarf geistige und spirituelle Entwicklung einer ausgewogenen körperlichen und sozialen Basis. Wenn man also einmal mit seinen hohen Zielen feststeckt und nicht in der Entwicklung weiterkommt, kann man überprüfen, ob man körperlich gut für sich gesorgt hat und sorgt. Mit einem Schlafdefizit,  Durst oder knurrendem Magen ist es schwer, eine App zu entwickeln, einen Comic zu zeichnen oder ein Buch zu schreiben.  Ebenso kann auch Vereinsamung oder Liebeskummer die geistige und spirituelle Entwicklung bremsen.   

Wie kann nun gesunde Selbstfürsorge funktionieren?

  1. Körperliche Grundbedürfnisse abdecken.

Am besten klappt das, wenn man sich seine Schwachstellen überlegt und sich dann um jene Bereiche, die man gerne ignoriert oder vergisst, kümmert : Genug Schlaf? Essen (zu viel-zu wenig?), Bewegung? Trinken?

*Aufgabe*: Erstelle eine Checkliste von 5 Punkten, die für dich wesentlich sind.

  • Tankstellen überlegen:

Was tut mir gut? Wo kann ich Kraft schöpfen und Energie tanken? Zum Beispiel: Laufen gehen, Kaffee trinken, Zeitung lesen, mit dem Freund, der Freundin telefonieren, stricken, schlafen, Waldspaziergang, Sauna, Suppe essen, Putzen,…..Diese Liste lässt sich unendlich fortsetzen.

*Aufgabe*: Fertige im Zuge eines  Brainstormings eine Liste mit den „Tankstellen“ deiner Wahl an.  Auch ein Mindmap oder eine ABC-Liste können die  Suche erleichtern. (Bei der ABC-Liste suchst du für jeden einzelnen Buchstaben eine passende Tankstelle – funktioniert wie das Spiel „Stadt-Land“, das die meisten noch aus der Schulzeit kennen).

  • Manifest der Selbstfürsorge erstellen:

Welche körperlichen, sozialen und geistigen Bedürfnisse spielen derzeit in meinem Leben eine wichtige Rolle? Gibt es Bereiche in meiner Selbstfürsorge, die ich vernachlässige?

*Aufgabe*: Erfasse in 10 Punkten, was du brauchst, um gut zu „funktionieren“ UND was du dir auch regelmäßig gönnen willst und wirst. Diese Liste soll einen gut sichtbaren Platz bekommen: Im Taschenkalender, in der Geldbörse, am Badezimmerspiegel, usw.

Ziel der Selbstfürsorge ist es, körperliche und geistige Gesundheit zu erhalten und einem Ausbrennen entgegenzuarbeiten bzw. zuvorzukommen. Wer gut für sich sorgt, für sich selbst Verantwortung übernimmt und darauf achtet, dass die Depots gefüllt bleiben und die letzten Reserven nur im alleräußersten Notfall angetastet werden, der brennt nicht aus, der leuchtet.